Saturday, January 08, 2005

Kommunales "diversity management"

"Es geht um Selbstbehauptung"
Einwanderung ist kein Randphänomen mehr - in Wien haben ein Viertel der Einwohner einen ausländischen Pass - erste Studie über ihre Vertretungen
Einwanderung ist kein Randphänomen mehr. Allein in Wien haben 438.000 Menschen - ein Viertel der Einwohner - einen ausländischen Pass, sind neu eingebürgert oder Kinder von Migranten. Eine Studie widmet sich erstmals ihren Vereinen und Interessenvertretungen.
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Wien - Diskussionen über "Parallelgesellschaften" von Einwanderern seien "scheinheilig", meint Wiens Integrationsstadträtin Sonja Wehsely (SP). Dass Migranten, etwa aus Afrika oder aus moslemischen Ländern, der Mehrheitsgesellschaft prinzipiell fremd gegenüberstünden, werde meist ohne ausreichende Informationen behauptet.

Informationen zusammengetragen
Informationen, die in der Bundeshauptstadt nunmehr zusammengetragen worden sind - und zwar im Rahmen einer breit angelegten, vom Wiener Integrationsfonds, der MA57 und der Arbeiterkammer geförderten sozialwissenschaftlichen Arbeit. Diese macht zu allererst mit der immer noch verbreiteten Vorstellung von Einwanderung als Randphänomen ein Ende: "Zu Beginn 2002 lebten in Wien rund 438.000 Menschen, die entweder eine ausländische Staatsbürgerschaft besaßen, seit 1961 eingebürgert worden oder Kinder von Migranten sind", erläutert Studienkoautor Harald Waldrauch.

Ein Viertel der Wiener Gesamtbevölkerung
Somit verfüge mehr als ein Viertel (28,4 Prozent) der Wiener Gesamtbevölkerung (Ende 2001 rund 1,543.000 Personen) über Erfahrungen des neu Ankommens, sich Einfindens und Integrierens: 96.000 Menschen etwa aus Serbien und Montenegro, 75.000 aus der Türkei, 58.000 aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina, 16.500 aus afrikanischen Staaten sowie je 8500 aus Indien und von den Philippinen.

Vielfalt von Organisationsformen
Sie alle, ergänzt Studienkoautorin Karin Sohler, hätten in den vergangenen 40 Jahren "eine Vielfalt von Organisationsformen entwickelt", die als grundlegende "Strukturen der sozialen und politischen Partizipation" bezeichnet werden könnten. 728 aufrechte Zusammenschlüsse ermittelte die im Rahmen der Untersuchung zwischen 2001 und 2003 durchgeführte Recherche - vom Freizeit- oder Sportklub für männliche Gastarbeiter aus Slowenien oder Serbien der ersten Migrantengeneration über Vereine zur Unterstützung verfolgter politischer Gruppen in der Türkei und Initiativen zur Gründung hinduistischer oder Sikh-Tempel und Gebetsräume.

Gegen Isolation
Die jüngsten Gründungen, so Sohler, seien Ende der 1990er-Jahre erfolgt. Nach dem Erstickungstod des Schubhäftlings Marcus Omofuma seien - oftmals unter der Ägide junger Afrikaner - antirassistische Zusammenschlüsse entstanden. "Es geht um Selbstbehauptung. Jugendliche aus afrikanischen Familien kämpfen gegen Alltagsrassismus und den Faktor der Isolation", erläutert etwa Araba Johnston-Arthur von der Bewegung der jungen Afrikanischen Diaspora in Österreich, Pamoja.

Achtgrößte serbische Stadt der Welt
Während man etwa bei Jedinstvo, dem ältesten Zusammenschluss serbischer Gastarbeiter, die Auseinandersetzung mit der Kultur des Herkunftslandes sowie sportliche Betätigung in den Mittelpunkt der Vereinsarbeit stellt. Immerhin sei "Wien nach Sobotic die achtgrößte serbische Stadt der Welt", sagt Vereinsvertreter Darko Miloradovic.
Doch für Integrationsstadträtin Wehsely haben beide Gruppenausrichtungen gleich viel Gewicht: In einer von Einwanderung mit geprägten Gesellschaft sei "diversity management" angesagt. Mit dem Ziel, die Verwaltung zu einem Abbild der real existierenden Gesellschaft zu machen. (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 8/9.1.2005)


Buch:
Harald Waldrauch, Karin Sohler: "Migrantenorganisationen in der Großstadt" Hrsg. Europäisches Zentrum Wien, 697 Seiten, Campus Verlag 2004.

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